Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

28.09.2023

"Häusliche Gewalt ist für uns ein Riesenthema"

Der Deutsche LandFrauenverband (dlv) fordert bessere finanzielle Förderung der Beratung auf dem Land

"Für uns ist es eine Herzensangelegenheit, das Hilfesystem im ländlichen Raum für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, besser aufzustellen", sagt Ursula Braunewell, Vizepräsidentin des Deutschen LandFrauenverbands (dlv). Im Juni 2023 veröffentlichte der dlv ein Positionspapier mit dem Titel "Häusliche Gewalt im ländlichen Raum bekämpfen" – bewusst begleitend zum zehnjährigen Bestehen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen".

Höheres Dunkelfeld vermutet

"Anders als in der Anonymität der Städte ist es in dünn besiedelten ländlichen Gegenden schwerer, eine Beratungsstelle zu finden. Auf dem Land ist das Hilfesystem ausgedünnter und schwerer zu erreichen. Lange Wegstrecken und ein unzureichend ausgebauter öffentlicher Nahverkehr sorgen für lange Wege", sagt Ursula Braunewell. "Hinzu kommt, dass man sich kennt auf dem Dorf. Da liegt unter Umständen die Hürde noch höher für eine Frau, die Gewalt erlebt, die Polizei zu rufen. Denn das bekommen ja dann alle mit. Oder es ist vielleicht auch so, dass der Polizist und der gewaltausübende Partner sich kennen, etwa aus dem Chor oder dem Kegelclub. Es passiert, dass die gerufene Polizei sich nicht einmischen will." Auch eher traditionelle Rollenmodelle und eine damit einhergehende größere finanzielle Abhängigkeit erschweren es oftmals Frauen auf dem Land, sich aus gewaltvollen Beziehungen zu lösen. Aufgrund dieser besonderen Rahmenbedingungen geht der dlv von einer hohen Dunkelziffer an geschlechtsspezifischer Gewalt im ländlichen Raum aus.

Forderung nach verlässlicher Finanzierung

Der dlv fordert eine bessere finanzielle Ausstattung für Unterstützungsangebote. "Wir sehen den Bund hier in der Pflicht, das können die Kommunen nicht allein leisten", sagt Ursula Braunewell. Zudem sei ein höheres Tempo bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention nötig. "Wir brauchen den Runden Tisch ,Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen‘, damit Bund, Länder und Kommunen eine bundesgesetzliche Regelung finden. Das Hilfesystem muss besser ausgebaut werden, nötig sind mehr Beratungsstellen und mehr Personal – und das braucht eine verlässliche Finanzierung unter Beteiligung des Bundes", so die Vizepräsidentin des LandFrauenverbands. "Wir drängen auf die zeitnahe Arbeitsaufnahme der geplanten staatlichen Koordinierungsstelle. Das ist aus unserer Sicht die Grundvoraussetzung, damit eine bundesweite Strategie gegen Gewalt an Frauen erarbeitet und dann anschließend auch umgesetzt wird." Zudem fordert der dlv Hilfs- und Unterstützungsangebote, die der Heterogenität der Betroffenen Rechnung tragen und Aspekte wie Diversität und Barrierefreiheit berücksichtigen.

Beratung in die Fläche bringen

"Die ländlichen Räume unterscheiden sich untereinander stark in ihrer Infrastruktur und sozioökonomischen Beschaffenheit. Aus diesem Grund muss die Ausgestaltung der Hilfesysteme an die entsprechenden Gegebenheiten vor Ort angepasst werden – deshalb sind Kommunen angehalten, flexible Hilfestrukturen und bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln und zu verstetigen", sagt Ursula Brauenwell. Sie verweist etwa auf das Angebot der "Land-Grazien" aus Schleswig-Holstein. "Das ist ein Beispiel dafür, wie es gelingt, bewährte mobile und digitale Angebote in die Fläche zu tragen. Die ,Land-Grazien‘ setzen ein als Firmenwagen getarntes Auto als mobile Anlaufstelle für gewaltbetroffene Frauen ein. Es ist bedauerlich, dass dieses Angebot ständig um Förderung kämpfen muss – es hätte mehr Geld vom Staat verdient!"

Warnzeichen von Gewalt erkennen

Ein weiterer Ansatzpunkt, um Häusliche Gewalt nachhaltig zu bekämpfen, ist für den dlv eine Sensibilisierung in den ländlichen Räumen für das Thema. "Unterstützungs- und Hilfsangebote sind noch nicht bekannt genug", mahnt Ursula Braunewell: "Präventive Angebote müssen dringend ausgebaut werden. Sie tragen dazu bei, dass möglichst viele Menschen die Warnzeichen von Häuslicher Gewalt erkennen und über Handlungsmöglichkeiten informiert sind."

Auch richtet der dlv sein Augenmerk auf die familiäre Situation. "Prävention muss schon im Kindesalter ansetzen. Sind Kinder Teil einer gewaltvollen Beziehung, sind sie psychisch belastet und in ihren Kinderrechten verletzt. Deshalb erachten wir die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz als notwendig, um Kinder nach der UN-Kinderrechtskonvention vor jeder körperlichen oder geistigen Gewaltanwendung zu schützen", erläutert Ursula Braunewell.

Gewaltspirale unterbrechen

Zu den Forderungen des dlv gehört auch die konsequente Strafverfolgung. "Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Alkohol- und Drogenmissbrauch aktuell strafmildernd auswirken", betont die dlv-Vizepräsidentin. Die strafrechtliche Aufarbeitung von Fällen Häuslicher Gewalt erfordert die reibungslose Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Hilfesystem durch eine entsprechende Sensibilisierung für die Tragweite des Themas. Teil der geforderten bundesweiten Strategie zum Schutz vor Gewalt müsse dem dlv zufolge auch der Ausbau von Angeboten der Täterarbeit zur Unterbrechung der Gewaltspirale sein. 

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